unterwegs: Was in den Ecken steckt / Bauhaus in Dessau

Die letzte Fassade einer Plattenbau-Reihe, symmetrisch angelegte Balkone und Fenster, raue Wände, abgesetzte Übergänge, Farbblöcke. Ein Gebäude (und das trifft genauso auf eine Zeichnung oder ein Gegenstand zu) gefällt mir, wenn es sich nicht aufdrängt, wenn es stimmige Proportionen hat, wenn es nicht versucht, etwas zu sein (ein toskanisches Landhaus zum Beispiel) oder besonders zu wirken. Es soll seiner Funktion gemäß klar und strukturiert entworfen sein – dann spricht es mich an.

Die erste Idee, aus der die Berlin-Dresden-Fahrradtour entstanden ist, war, Dessau zu besuchen. Dessau, die Bauhaus-Stadt. Dort, wo Gropius das Bauhaus-Gebäude errichtet hat, wo die Meisterhäuser stehen, wo es sogar ein ganzes Stadtviertel gibt, das ursprünglich in den 1920ern im Bauhaus-Geist – als Mustersiedlung für verschiedene Bauhaus-Wohnhaus-Typen – gebaut wurde. Über Dessau zu fahren bedeutete, einen großen Schlenker zu machen, aber hätte dieser nicht stattgefunden, hätte ich nur zwei Tage auf dem Sattel verbracht und mich fast nicht getraut, die ganze Unternehmung „Fahrradtour“ zu nennen.

Irgendwo in Brandenburg hatte ich in einer kleinen Pension übernachtet, ungefähr 80 km vor Dessau. Den Weg musste ich mir verdienen. Viele Baustellen, Fahrradweg-lose Landstraßen, die nur einspurig befahrbar waren, Staub, vorbei rasende LKWs, schimpfende Bauern, Wind. Ich gab Gas und schaffte es pünktlich um 15.00 nach Dessau-Törten. Das ist ein Stadtteil von Dessau, ungefähr 5 km vom Zentrum entfernt, und dort befindet sich die Gropius-Musterhaussiedlung. Man kennt das ja, das Schild mit der Aufschrift „zum Musterhaus“. Vielleicht war das damals auch so, 1926, als Gropius im Rahmen des Reichsheimstättengesetzes im Auftrag der Stadt Dessau preiswerten Wohnraum außerhalb der Stadt errichten ließ.  Schlicht gehaltene Reihenhäuser, mit großen Fenstern und dadurch hellen Räumen, großen Gärten für die Selbstversorgung, Bad mit Badewanne und einer Art Siedlungs-Einkaufszentrum, dem Konsum-Gebäude. Heute befindet sich im Konsum eine Ausstellung über die Geschichte der Siedlung, und es ist auch der perfekte Ausgangspunkte für Spaziergänge durch die Straßen. Nur noch vereinzelt sehen die Gebäude so aus wie zu Gropius‘ Zeiten, zu viel wurde im Krieg zerstört und danach je nach Geldbeutel-Inhalt der Hausbesitzer wieder aufgebaut. Heute sieht jedes Haus anders aus. Die Fenster befinden sich auf unterschiedlichen Höhen und an unterschiedlichen Positionen, die Fassaden sind nicht mehr einheitlich weiß, die Vorgärten zeugen von Eigenheimglück. Vereinzelte Häuser sind noch zu finden, an deren Fassaden die Ursprungsidee erahnbar ist. Große einfach Fenster als Lichtband in der Fassade. schwarze Metalltüren, eine kleine Hecke, um den Anblick auf die Müllcontainer zu verdecken.

Nach einer Nacht in der Dessauer Jugendherberge (Empfehlung! Neu und sehr nett!) war ich für ein paar Stunden Gast an und in allen Bauhaus-Gebäuden, die Dessau erhalten geblieben sind: Das ehemalige Arbeitsamt, das Restaurant Kornhaus, das Bauhaus-Gebäude selbst und die Meisterhäuser. Von oben, unten, hinten, vorne, von oben nach unten und unten nach oben, quer durch die Cafeteria, Kantine, alle erreichbaren Flure und zur Verfügung stehenden Sitzgelegenheiten versuchte ich diese Architektur in mich aufzusaugen. Überall gab es Ecken, die mein Herz höher schlagen ließen, Symmetrien aus Farben, Stufen, Rahmen. Dieser bauhaus-Tag in Dessau war ein Tag, der meinem Auge und Gehirn komplette Ordnung brachte und eine innere Struktur herstellte, die hoffentlich jetzt, im arbeitsintensiven Herbst und Winter, immer wieder die Ruhe bringt, die diese Gebäude für mich verströmen. Das kann kein noch so schmucker Palast in dieser Dimension leisten.

 

 

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