Normalerweise geht man in der eigenen Stadt nicht campen, sondern schläft im eigenen, warmen und wohlbekannten Bett.
Zur Zeit und noch bis 13. Oktober schwärmen jede Nacht knapp vier Handvoll Menschenpaare aus, um auf Verkehrsinseln, in Bäumen, unter Brücken und in Tunneln zu schlafen. Sie haben weder Isomatten noch Schlafsäcke unter dem Arm, sondern sind mit Kamera, Bier und warmen Socken ausgestattet.
Letzte Woche verließ auch ich Abends die krambeutel-Werkstattwohnung, holte mir einen Schüssel an der Tageskasse der Münchner Kammerspiele und bezog das Domizil für eine Nacht. Seine goldene Hülle glänzte im Sonnenuntergang und strahlte mir von weitem entgegen, als ich durch den Hofgarten heranradelte. Vor dem wuchtigen Haus der Kunst sah es winzig aus, wie ein kleiner Verschlag, der sich an das Geländer der Brücke anlehnt, die sich an dieser Stelle über den Altstadtring spannt.
Mit den Shabbyshabby Apartments läuten die Kammerspiele die neue Spielzeit und die Intendanz von Matthias Lilienthal ein. Gut 20 Schlafräume wurden von jungen Architekten über die Stadt verteilt errichtet und mit Ikea-Matratzen und Schlafausstattung ausgerüstet. Campen wie auf Wolken.
„Mit dieser künstlerischen Intervention möchten wir auf die Verknappung von bezahlbarem Wohnraum in München und die Gefahr der sozialen Spaltung in der Stadt aufmerksam machen.“ schreibt Matthias Lilienthal auf der Kammerspiele-Webseite. Und tatsächlich waren gerade jetzt zur Wiesn-Zeit die Shabbys wahrscheinlich eine der günstigsten Übernachtungsvariante, allerdings eine vergleichsweise luxuriöse im Gegensatz zu denen, die in den Tunneln der Stadt zu finden sind.
Auf dem Terrassenbänkchen des „Au Gold Haus“ aßen wir unsere Pizza (von Cupido in der Bruderstraße – die „Vesuvio“ ist sehr zu empfehlen!) mit Bier und wunderten uns, wie wenige der Passanten Interesse für unsere Anwesenheit vor diesem golden glänzenden Häuschen zeigten („Guten Appetit!“ „Eine warme Nacht!“), vielleicht ist es bei denen, die täglich diese Kreuzung passieren, einfach schon zum gewohnten Anblick geworden, der nicht mehr hinterfragt werden muss. Vielleicht sitzen dort ja jeden Abend zwei Menschen und essen Pizza. Wer weiß.
Draußen wurde es am späteren Abend zu kalt, drinnen im Schein der Straßenlaterne aber sehr gemütlich, sodass wir – wie es sich für eine Camping-Nacht gehört – weit vor Mitternacht einfach und völlig unspektakulär einschliefen. Das ständige Verkehrsrauschen auf dieser stark befahrenen Kreuzung wurde zu einem gleichmäßigen Geräuschhintergrund, der mich bis sieben Uhr morgens weder frierend noch von Lärm gestört durchschlafen ließ.
Der Morgen vor dem Gold Haus brachte Zähneputzen mit Blick auf die in der Morgensonne glänzenden Fahrspuren der Prinzregentenstraße, ein Mädchen samt Mutter, die mal nachsehen wollten, was für ein eigenartiges Kasperltheater seit Wochen auf der Kreuzung steht und Besuch samt Kaffee.
Später dann, in der Kammerspiele-Kantine, an der Frühstückstafel mit anderen Shabbyshabby-Übernachtern, fielen hauptsächlich zwei Fragen: „Wo habt ihr geschlafen?“ und „Wars denn kalt?“
Geschlafen haben wohl alle sehr gut. Das Freiburger Pärchen in der Jurte an der Maximlianstraße, die zwei Münchner im Silo an der Isar, die vier Frauen im Isartor. Denn Matratze und warme Decken verströmten nicht ein unter-der-Brücke, sondern eher ein Hotel-Gefühl. Ein kleines Abenteuer in der eigenen Stadt war diese Nacht auf jeden Fall – 0b die Botschaft, die Lilienthal und sein Team vermitteln will, auch wirklich beim Publikum ankommt, halte ich für diskussionfähig.
Für Einblicke in das Projekt und in andere Shabbys sorgt Arte.