Krisenzeiten machen vielleicht auch Hoffnung

Krisenzeiten. Zur Zeit ist alles komplizierter als sonst. Wir denken maximal an die nächsten 24 Stunden und wir wissen nicht, wie lange es noch so bleiben und wie es werden wird. Es ist unnötig, zu spekulieren, wie es werden könnte, es ist unnötig, hätte-wäre-Sätze zu formulieren und unnötig, sich selbst ganz besonders leid zu tun.

Diese Woche im Bio-Laden, wo so deutlich zu spüren ist, dass die Menschen große Angst davor haben, auf ihren üblichen Komfort verzichten zu müssen, flogen die Linsenpackungen durch die Luft und zerplatzten am Boden, weil die Nerven gespannt sind, weil volle Einkaufswägen nicht mehr durch die engen Gänge passen, die nicht auf einen solchen Ansturm ausgelegt sind (seit wann gibt es 1 kg Tomatenmark-Gläser? – mega!), weil wieder andere Menschen so entspannt sind, dass die Angespannten sich nicht ernst genommen fühlen. Ich bin teilweise so wütend, über diese „Ist doch nur ein Grippevirus“-Sager, die Leute, die in der Sonne rumsitzen, weils halt grad so schön ist, und am meisten muss ich mich aufregen, wenn sich im Internet angeblafft wird. Die Yogi in mir atmet tief durch und weiß: Das wird schon alles wieder. Diese Zeit ist schwer in eine Stimmung zu fassen. Sonst bin ich entweder scheiße drauf oder es geht mir gut. Jetzt schwankt das fast minütlich zwischen OPTIMISMUS! und großer Aufregung.

Platze bald.

Ich bin jemand, der so gerne plant. Ich mag es zu wissen, wo ich wann bin, ich freue mich auf Reisen, auf Freunde, bin so gerne mit Menschen zusammen, liebe lange Gespräche und Diskussionen und bin eigentlich eher unflexibel, was einmal festgelegte Entscheidungen betrifft. Außerdem wohne ich – wenn auch auf verhältnismäßig viel Platz – in einer dunklen Wohnung, die ich gern mag, um mich drin einzukuscheln, aber die nicht dazu geeignet ist, über Wochen darin fröhlich zu bleiben. Bei der kleinsten hektischen Bewegung wackelt der Boden, und wenn mir jetzt hier einfallen sollte, irgendwelche Ausdauer-Übungen zu machen, kracht die Bude vermutlich zusammen. Insofern: Meine Angst vor nichtmal mehr zum Rennen rausgehen zu können ist gewaltig. Aber ich kann verstehen, wenn das die Maßnahme sein muss.

Denn ich habe ganz schön viel Angst vor allem, was kommt, Angst um Familienmitglieder, um Freunde, die um ihre Existenz bangen, diese vielen vielen kleinen Unternehmen, die sich eigentlich keine einzige Woche Ausfall leisten können. Ich habe nicht nur Angst, dass Menschen in meiner Umgebung sehr ernsthaft krank werden könnten, sondern dass es Leute gibt, die mir Nahe sind und deren Haltung ich nicht verstehen und vertreten kann. Nein, es ist eben nicht einfach nur ein Grippevirus, es ist keine Verschwörung, es ist ernst.

Es geschehen gerade Dinge, die ich nicht einordnen kann, die ich mir nicht erlauben will zu beurteilen, die mich ständig mein Handeln hinterfragen lassen und die mir jetzt nach diesen paar Tagen schon zeigen, was mir wirklich wichtig ist. Abstand von den Meinungen anderer zum Beispiel. Deswegen muss ich mir Internet-freie Zeiten verordnen, um nicht vor Aufregung (das Aufregen über etwas, nicht das Aufgeregtsein) zu platzen. Dennoch ist das Internet gerade der größte Retter, denn:

Was so toll ist obwohl draußen so viel Mist ist:

Online Yoga #stayhomeyoga, zum Beispiel mit Sinah von Kale&Cake. Freudentränen aus Verbundenheit.

Hotel Quarantäne. Und überhaupt Podcasts. Podcasts sind toll!

So lange es noch geht: die Umgebung entdecken, den Wald, die Trampelpfade im Park. Den Sonnenaufgang sehen, am farbigen Himmel freuen. Davon den ganzen Tag zehren.

Beim allein draußen rumstromern: Die Gelegenheit haben, ganz viel zu überlegen, was gut ist und was überhaupt nicht passt.

Und: Die Gelegenheit haben, ganz viel zu überlegen, was gut tut und was überhaupt nicht.

Zu merken, wie wichtig die Menschen sind, die ich liebe. Umarmungen verschicken. Ständig.

Ich mag es, wie schnell viele sich und ihre Unternehmen neu erfinden, wie flexibel sie sein können und wie sehr ich selbst Lust habe, diese Flexibilität im Kopf mitzumachen.

Ich mag es, wie wenig verplant jetzt alle sind, und wie sehr wenig schlimm ich Telefonieren finde (sehr schlimm, dachte ich immer.)

Dass das Internet auch Kultur möglich macht. Und der Kultur hilft, nicht vergessen zu werden.

Ich freue mich darauf, dass – wenn wir geschafft haben, uns in der ungewöhnlichen Situation einzurichten oder sie sogar heil zu überstehen – wir gemerkt haben, dass wir garnicht so viel brauchen wir immer dachten. Dass wir Vertrauen haben können, auch wenn wir Dinge nicht immer unter Kontrolle haben. Dass leise sein auch sehr gut tut. Wie schön Nähe ist.

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