Über Grenzen kann man mal gehen

Nähen ist auch irgendwie ein Sport, aber für die Finger. Deswegen – und weil meine beiden Berufe eher was für platte Hintern sind – gibt es jedes Jahr einen sportlichen Schwerpunkt. Dieses Jahr ist ja Wanderjahr. Letztes Jahr war Laufen dran, dieses Jahr ists Wandern:

Lang wandern, weit wandern, hoch wandern, Flachland-Wandern, tagelang wandern und 24 Stunden-Wandern.
Bevor wir im Sommer in Island durchs Hochland stapfen werden und einen Monat später über die Alpen war jetzt am Wochenende die längste Strecke am Stück an der Reihe: 100 km in 24 Stunden.

Start war am Samstag Nachmittag in München, Zielort Mittenwald einen Tag später. Super, nicht gleich morgens loslaufen zu müssen, dachte ich mir, und versuchte, mal richtig lang zu schlafen. Beim Versuch blieb es und am Ende sass ich dann doch bis zur Abfahrt an der Nähmaschine, denn schlafen kannst du später, sagte der Körper!

Die ersten Kilometer auf den Isartrails nach Süden, sonnig, mit „hierher kommen wir bald mal zum Laufen“-Abmachungen, waren leicht, unterhaltsam, schnell und voller Tatendrang. Das Tempo hielten wir, auch wenn die Füße irgendwann Beschwerde einlegten und begannen, weh zu tun.

Die Dunkelheit kam, mit ihr dann auch der Regen, der nicht aufhören wollte, und der uns Matsche und Pfützen bescherten. Die letzten fünf Kilometer vor Kochel am See waren ekelhaft, nass, lang, voller Flüche. In Kochel dann, durchweicht, froh um das 2. Paar Schuhe im Rucksack (lieber 400 g mehr tragen als wegen nasser Schuhe abbrechen müssen), gar nicht froh um die Blasen an der Fußsohle („ne, ich hatte noch nie Blasen und werde auch diesmal keine kriegen“ – haha!) ließen wir uns bei km 67 beim 3. Versorgungspunkt Zeit, testeten Füße und den Rest, legten uns trocken und beschlossen, dass aufgeben die letzte aller Optionen ist.

Wenn der Himmel wieder blau ist über dem Kochelsee.

Die größte Steigung der Strecke flogen wir fast hinauf („Wollt ihr uns hier echt überholen?“), 250 Höhenmeter Abwechslung vom stupiden auf ebener Erde gehen, noch dazu war die Nacht vorbei und mit ihr der Regen. Da tauchte unten der Walchensee auf, die Sonne kam raus, und als wir bei Versorgungspunkt 4 Aufbacksemmeln mit Butter frühstückten, ging die Motivation durch die Decke. Die letzten 25 Kilometer machen wir doch mit links!

Walchensee – olé und ein Fußbad mit viel Seufzen

Ich ging sie eher mit rechts, denn links war irgendwas unterhalb des Sprunggelenkes, das zwickte bei jedem Schritt, und beim Fußbad im Walchensee entdeckte ich schöne, neue, dicke Blasen. Egal. Ankommen und abhaken! Eigentlich gibt es nichts zu tun, nur gehen. Das klingt so einfach wie es ist. Klar, eine mentale Herausforderung ist es, aber eine noch größere Herausforderung ists, die Füße so aufzusetzen, dass eine nicht-schmerzende Stelle als Erstes den Asphalt berührt. Noch ein Regen-Hagel-Schauer und ein „Ihr geht aber noch rund“ als Anschubhilfe, dann Mittenwald am Horizont. Nix wie hin da, die Sonne schien, wir humpelten uns durch die Felder, quer durch die Wiese – egal, Umwege werden nicht mehr gegangen – zum Bahnhof Mittenwald, wo Abholer, Urkunde und Sanitäter auf uns warteten. Denn wir habens tatsächlich einfach gemacht: 100 km in 23 h 53 min. Und heute, einen Tag später, war ich um 6 Uhr wach, nur beim aus dem Bett springen holten mich die Füße in die Realität zurück. Burning shit! Die beiden brauchen noch ein paar Tage und etwas Pflege, bis sie wieder in Lauf- und Kletterschuhe passen und dann kommen das nächste Wanderprojekt auf der 2017-Liste und die Sportpläne für das nächste Jahr. Aber dazu ein andermal.

Hallo, Karwendel, da biste ja!

Was sehr gut war:
> Das 2. Paar Schuhe
> Die schnellen ersten 40 km (eigentlich 65 glaube ich, so wirklich langsamer geworden sind wir erst nach der Nacht)
> Das zu zweit sein. Team ist Top!
> Die vielen kurzen Pausen zum Beine ausschütteln. Danach lief sichs zwar die ersten Meter erstmal holprig, dafür aber wieder leichter.
> Das Training der letzten Monate. Denn Hüfte, Knie und Rücken blieben fit, 24 Stunden lang. Und sind es auch jetzt noch.
> Unsere Scheißdrauf-Einstellung

Was es nicht gebraucht hätte:
> Die lange Hose
> Den Regen!
> So viel Asphalt.
> Wo ist der Hunger hin? Bisher kam er nicht zurück (oder gehört das zu den guten Dingen?)

2 Kommentare zu „Über Grenzen kann man mal gehen“

  1. Hi Steffi,
    sehr schöner Bericht!
    Schade, dass ich euch bei VP3 nicht getroffen habe – ich habe nen Vernunftausstieg gemacht, kein Schmerzausstieg. Im Team wär das tatsächlich besser gewesen.
    LG Peggy

    1. Ei je, Peggy, wir haben uns schon Gedanken gemacht, wo du bist! Ich habe dich nicht gesehen, wir saßen gleich bei der Eingangstür. Wenn die Vernunft gesiegt hätte, hätten wir auch aufhören müssen.

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